Vorurteile bzw. sogenannte "urban legends" gibt es in großer Anzahl auf beiden Seiten - bei Touristen ebenso, wie bei Tunesiern.
Und das liegt daran, daß der "Schein trügt", also etwas mit europäischen oder tunesischen Augen gesehen und interpretiert wird.
Vorurteile sind ein nie versiegender Quell von
Mißverständnissen. Einige der typischen Vorurteile sollen daher hier angesprochen werden.
Europäische Mißverständnisse
Tunesier sind Sprachgenies
Nein, denn sie sprechen ebenso gut oder schlecht
Fremdsprachen, wie die Einwohner anderer Länder auch.
Dieses Mißverständnis rührt von da her, daß in den Hotels und Geschäften der Touristenzonen die Angestellten mehrere Sprachen sprechen - nicht etwa, weil es ihnen besonderen Spaß bereitete, sondern weil sie damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Und nur zu diesen Tunesiern hat ein Tourist Kontakt.
Kommt man jedoch in Gegenden, wo es keine Touristen gibt, oder besucht man tunesische Familien ohne Kontakt zum Tourismus, wird man feststellen, daß dort meist nur arabisch gesprochen und verstanden wird, und das, obwohl z.B. französisch verpflichtend ab der 2.Schulklasse und englisch verpflichtend ab der 3. gelehrt wird.
In Tunesien wird alles ganz locker gesehen
Ganz im Gegenteil, Tunesien ist sogar ein Land, wo es oftmals ganz besonders ernsthaft und formal zugeht.
Dieses Mißverständnis rührt da her, daß viele Bereiche, die in Europa streng reglementiert sind, dies in Tunesien nicht sind. Dafür gibt es umgekehrt viele Bereiche, in denen es in Tunesien besonders streng und formal zugeht - die werden aber von Touristen nicht auf den ersten Blick wahrgenommen bzw. wollen nicht wahrgenommen werden.
Zudem genießen Touristen eine weitreichende "Narrenfreiheit" und können sich viele Dinge erlauben, die für einen Tunesier nicht denkbar wären.
Zu den reglementierten Bereichen zählen insbesondere die Stellung von
Mann, Frau und Kindern in Familie und Gesellschaft, Kleidungsvorschriften (
es gibt z.B. eine verpflichtende Schuluniform) und weite Bereiche des öffentlichen Lebens (
z.B. das Verhalten in der Öffentlichkeit).
Und - wer den Behördenapparat in Deutschland etwa für langwierig und ineffektiv hält, der hat ihn in Tunesien noch nicht erlebt.
Tunesier sind besonders freundlich
Nicht wirklich - zumindest nicht freundlicher, als die Einwohner vieler anderer Länder auch.
Das Mißverständnis rührt da her, daß Touristen hauptsächlich mit den Tunesiern in Kontakt treten, die im Tourismusgeschäft arbeiten - und dort gilt, daß, je freundlicher man ist, desto größer die Chance auf ein Geschenk oder Trinkgeld ist.
Würden Touristen die Kommentare verstehen, die ihnen auf arabisch nachgerufen werden, wenn sie ein angebotenes Geschäft nicht wahrnehmen oder das Trinkgeld knapp ausfällt, oder gar wenn sie einfach nur vorübergehen, dann würden sie anders denken.
Dem steht es nicht entgegen, daß man in Tunesien sogar auf große, echte Herzlichkeit stoßen kann - doch dies tut man auch, wenn man als Fremder in eher traditionelle Gebiete in Europa kommt oder sich zu einem Privatbesuch in einer Familie aufhält.
Ich will nicht so weit gehen, zu behaupten, daß
tunesische Freundlichkeit gegenüber einem Touristen stets
profitorientiert ist, doch in den meisten Fällen verhält es sich leider genau so, zumindest in der Touristengebieten und bei den dort Beschäftigten ... ganz egal, was ein Tourist glaubt, warum man ausgerechnet zu ihm freundlich sei.
Übrigens - auch z.B. in Deutschland verhält man sich gegenüber etwa einem japanischen oder amerikanischen Touristen sehr freundlich - die negativeren Verhalten finden eher gegenüber in Deutschland wohnenden Ausländern bzw. "Migranten" statt - und wenn man eine Weile in Tunesien wohnt, sich also dort selbst als "Migrant" aufhält, wird man feststellen, daß die Freundlichkeit dann auch nicht mehr dieselbe ist, wie sie einem in der Anfangszeit entgegengebracht wurde.
Tunesier sind strenggläubig
Absolut nicht. Sie sind islamgläubig, doch nicht in der Form, wie sie z.B. in Europa als negativ wahrgenommen wird.
Tatsache ist es, daß der
Glaube in Tunesien relativ "locker" gehandhabt wird und dies nicht mit Ländern wie Ägypten oder die Golfstaaten, oder gar Jemen, Saudi-Arabien oder Pakistan verglichen werden kann
Auf der Insel Djerba gibt es übrigens eine jüdische "Kolonie", und in einigen großen Städten (
z.B. Tunis und Sousse) befinden sich christliche Kirchen, in denen auch Gottesdienste stattfinden.
Seit dem Jahre 2011 gibt es jedoch auch in Tunesien "extreme" Gläubige in der Öffentlichkeit, die u.U. Fremde und Frauen beleidigen und für Frauen das Tragen der Vollverschleierung (
Niqab) fordern. Diese Gruppen werden im Land als "Bärtige" oder "Salafisten" bezeichnet und repräsentieren nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung.
So viel zu den Vorurteilen über Tunesien, weiter geht es mit den