Gemeinhin wird Frauen bei einer Reise nach Tunesien nahegelegt, sich an den islamischen Kleidungsvorschriften zu orientieren, als da wären zum Beispiel nicht-schulterfreie Hemden, lange Röcke oder Hosen, sowie ein weitgehender Verzicht auf Schmuck und Make-Up.
Frauen, die sich dann genauso kleiden, stellen jedoch schon bald fest, daß, besonders in den Touristengebieten und zu besonderen Festlichkeiten, viele
Tunesierinnen genau solche schulterfreien Hemden, zuweilen kurze Röcke, und insbesondere oft Schmuck und hervorstechendes Make-Up tragen.
Tatsache ist es, daß sich in Tunesien zumindest viele jüngere tunesische Frauen, und auch die, die finanziell besser gestellt sind, in den Touristengebieten und Großstädten an der europäischen Mode (
und zwar an der in Italien oder Frankreich) orientieren.
In ländlichen Gebieten Tunesiens (
und die beginnen oft schon an der Grenze einer Großstadt!) jedoch überwiegt (
noch) die die
traditionelle Kleiderordnung - die allerdings nicht mit "islamischer" Kleiderordnung verwechselt sollte, denn die letztere war in Tunesien, zumindest für Tunesier, noch bis Anfang 2011 verboten.
Seit Ende 2011 propagieren in Tunesien religiös konservative Gruppen (
Salafisten, Hisb Et-Tahrir, etc.) verstärkt die Vollverschleierung (
Niqab) für Frauen. Dies zeigt insofern Wirkung, als daß nicht nur die Zahl der vollverschleierten Frauen zunimmt (
doch immer noch sehr gering ist und neuerdings auch kaum noch weiter ansteigt), sondern auch das Tragen eines Kopftuches bzw. eines Teilschleiers (
Hijab) viel häufiger geworden ist, als in den Jahren zuvor.
Für Touristen, die sich in Tunesien vorwiegend in Touristengebieten und Großstädten aufhalten, besteht daher kaum eine Veranlassung, übermäßig "gedeckte" Kleidung zu tragen oder gar auf europäische Badekleidung am Swimming-Pool oder Strand zu verzichten.
Diese ist jedoch sehr wohl angemessen bei Besuchen ländlicher Gebiete und sehr traditionell ausgeprägter Gebiete Tunesiens (
z.B. "arabische" Wohnviertel in Städten, die oft nur wenige Schritte von der Touristenzone entfernt liegen) - wozu aber nur in den seltensten Fällen die Ziele organisierter Ausflüge zählen.
Hier orientiert man sich praktischerweise an dem, was die Einheimischen tragen. "Einfache" Kleidung ist in Tunesien nicht teuer, zumal getragene (
Second-Hand-Läden "Fripes" gibt es überall), und kann, wenn man sie denn wirklich braucht, jederzeit und schnell vor Ort erworben werden, so daß man das Urlaubsgepäck nicht unbedingt damit zusätzlich belasten muß.
Auch in Tunesien bilden sich nur eine Minderheit eine Meinung über den Charakter eines Menschen aufgrund dessen Kleidung - und es sind nicht etwa die besonders religiösen Personen, die das tun, sondern meist Männer und Angehörige untererer Schichten, wobei meist sogar beides gleichzeitig zutrifft.
Besonders die oft zu hörende Mär, daß tunesische Männer durch die offenherzig gekleideten Europäerinnen "verdorben" worden seien und sich darum im Zustande permanenter Notlage befinden, oder daß die Menschen dort gar deswegen ihre ganze "Kultur in Tunesien" verlieren, taugt zu nicht mehr als zur Aufheiterung eines langweiligen Abends unter Europäern in Tunesien.
Eine Europäerin wird, ganz egal wie sie gekleidet ist, in der tunesischen Gesellschaft nicht als adäquat akzeptiert werden, und das nicht, weil sie ein ärmelloses Hemd trägt, sondern einfach deshalb, weil sie keine Tunesierin, keine Nordafrikanerin, keine Araberin, keine Muslimin ist.
Und ganz sicher wird sie nicht bereits nach der kurzen Zeit, in der sie sich z.B. anläßlich einer Urlaubsreise in Tunesien aufhält, einen Zugang zur Gesellschaft dort finden - ganz egal, was sie trägt, was sie selbst glaubt oder
was man sie glauben machen will.
Und dasselbe gilt natürlich, wenn auch in etwas abgeschwächter Form, ebenso für europäische Männer.
Eine Bemerkung zum Schluß: Vielfach wird gesagt, daß sich offenherzig gekleidete europäische Frauen in Tunesien wie "Prostituierte" zeigen - doch dies ist entweder Geschwätz oder eine Schutzbehauptung (man schaue, wer es sagt...), denn tunesische Prostituierte treten zum einen kaum in der breiten Öffentlichkeit auf und sind dort zum anderen eher ärmlich und "geschlossen" gekleidet. Und bei dem, was sie hinter verschlossenen Türen tragen und tun, unterscheiden sie sich kaum von der "ehrenhaften" tunesischen Frau.